„Jedesmal, wenn du ein Buch fortgelegt hast und beginnst, den Faden eigener Gedanken zu spinnen, hat das Buch seinen beabsichtigten Zweck erreicht”, hat einst Janusz Korczak geschrieben. Neben seinen pädagogischen Schriften verfasste der polnische Arzt und Pädagoge einige Kinderbücher. Zum einen sicher auch weil er den Reiz, der von spannenden Geschichten ausgeht, kannte. Zum anderen weil Bücher das Tor zu einer immer neuen spannenden Welt sind. Sie schaffen Freude, unterhalten, bilden, entspannen, vermitteln Denkanstöße. So wie Bücher erst einmal geschrieben werden müssen, entdecken Kinder erst mit der Zeit den Umgang mit ihnen. Dabei brauchen sie unsere Unterstützung. Das beginnt bei der richtigen Auswahl der Bücher und des Vorleseortes, setzt sich fort beim Vorlesen und führt dahin, dass wir ihnen helfen, sich die Welt des Lesens und der Literatur selbst anzueignen.

Eine Herausforderung stellt oftmals schon die Auswahl der Bücher dar. In der Krippe, im Kindergarten und zumindest noch zu Beginn der Grundschule sind es oftmals die Bilderbücher die begeistern. Dabei gilt: je kleiner die Kinder, desto klarer und übersichtlicher müssen die Illustrationen sein. Das gilt auch für die Texte. Helmut Spanners „Erste-Bilder – erste Wörter“ oder „Ich bin die kleine Katze“ seien hier nur beispielhaft für jene Bücher genannt, die in der Bibliothek von Zwei- und Dreijährigen nicht fehlen sollten. Je nach Entwicklungsstufe sollte dann der Anspruch steigen. Zumindest die Volks- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm und später die Märchen von Hans Christian Andersen sollten einen festen Platz bei den Vorlesegeschichten haben. Nicht aus falsch verstandener Kulturbegeisterung. Sondern, weil Märchen voller Identifikationsszenen stecken, durch die Kinder sich angesprochen fühlen und mit denen sie ihre eigene Lebenswelt erschließen können. Entscheidend ist, dass die Geschichten, die wir den Kindern vorlesen, ihnen auch gefallen. Die Welt ist voller gutgemeinter Kinderbücher, die letztlich ihre Zuhörer nur gelangweilt oder überfordert haben. Der Frust, der dabei entsteht, kann fatale Folgen für das spätere Lese- bzw. Nichtleseverhalten haben. Wir müssen die Kinder deshalb immer mit einbeziehen. Und gerade dann, wenn sie die gleiche Geschichte immer wieder hören möchten, haben wir den richtigen Lesestoff entdeckt.

Eine besondere Bedeutung haben wir als Vorleser. Ob wir wollen oder nicht – wir sind Vorbilder und Identifikationsfiguren. Unser Umgang mit, unsere Begeisterung für Literatur bestimmt letztlich auch den Grad der Freude an Büchern der Kinder. Deshalb ist es so wichtig, dass auch Männer Kindern vorlesen. Denn gerade die kleinen Jungs orientieren sich daran.

Vorlesen und lesen sind in einer ruhigen Umgebung, in der wir wenig Ablenkung erfahren, viel angenehmer. Wir können leichter abschalten, uns leichter konzentrieren und in die Geschichte abtauchen. Für eine tolle Vorleserunde sollten wir deshalb gemeinsam eine angenehme Umgebung schaffen. Leonardo da Vinci hat einst erkannt: „Die kleinen Räume führen den Geist zum Ziel, die großen lenken ihn nur ab.“ Die Kuschelecke, ein abgegrenzter Ort oder ein weicher Teppich sind wesentliche Elemente für die passende Umgebung. Wenn dann ein Kind beim Vortrag einschläft, tut es das nicht aus Langeweile, sondern weil wir alles richtig gemacht haben.

Und noch eines zum Schluss: Bücher gehören zum Leben und damit mitten in die Gruppe. Sie sollten immer Teil des Lebens sein. Denn mit Büchern können wir uns ohne zu reisen fast die ganze Welt erschließen.

(Gernot Körner)

Verleger Burckhardthaus/Oberstebrink und Chefredakteur des Magazins Literaturgarage